Impuls zum 22. So. im Jahreskreis, 29.08.2021

Kennen Sie die Geschichte von der angebundenen Katze?

Sie kam mir bei der Beschäftigung mit dem heutigen Sonntagsevangelium wieder in den Sinn:

„Ein Abt hielt regelmäßig im Kloster mit seinen Mönchen das Abendgebet. Eines Tages lief eine Hauskatze in den Raum, strich umher, schnurrte den Jüngern um die Füße, ja sprang ihnen auf den Schoß und lenkte sie von der Andacht ab. Darauf ordnete der Abt an, dass die Katze um diese Zeit draußen angebunden werden sollte.

So machte man es und man konnte ungestört beten. Die Zeit verging. Der Abt starb. Sein Nachfolger hielt sich streng an die Tradition, dass während des Abendgebets eine Katze angebunden sein muss. Die Zeit verging. Auch die Katze starb. Es wurde eine neue Katze angeschafft, um sie während des Abendgebets draußen anbinden zu können.

Weil die einfachen Leute den Sinn dieser Maßnahme nicht verstanden, traten Theologen auf den Plan und schrieben ein zweibändiges Werk mit vielen Fußnoten über die Heilsnotwendigkeit einer angebundenen Katze während des Abendgebets. Mit der Zeit jedoch kam des Abendgebets selbst ganz außer Gebrauch. Niemand interessierte sich mehr dafür. Aber mit größter Treue wurde weiterhin abends während der Zeit, in der früher die Abendmeditation stattfand, draußen eine Katze angebunden.“    (Quelle unbekannt)

Wir Menschen neigen dazu, Traditionen zu pflegen. Und das ist gut so: Bräuche und Rituale geben uns Halt, schenken uns die Erfahrung, dazuzugehören und helfen uns, Kompliziertes besser zu verstehen.

Es gibt aber auch Traditionen, an denen wir festhalten, obwohl wir deren Sinn gar nicht (mehr) verstehen. „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Die angebundene Katze ist ein witziges Synonym dafür.

Von einer „angebundenen Katze“ erzählt uns der Evangelist Markus:

Die Pharisäer und Schriftgelehrten kritisieren die Jünger Jesu, weil diese ihr Brot mit unreinen – das heißt mit ungewaschenen – Händen essen. Sie wollen von Jesus wissen, warum seine Jünger sich nicht an die „Überlieferung der Alten“ halten.

Das Waschen der Hände vor dem Essen geschah damals nicht aus hygienischen Gründen, sondern hatte rein kultischen Charakter:

Mit diesem Ritual distanzierte man sich bewusst von all den unreinen Einflüssen, mit denen man möglichweise in Berührung gekommen war. Bestimmte Tiere, Aussatz, Menschen, die sich durch bestimmte Vergehen verunreinigt hatten, Tote – all das galt als unrein.

Wer damit in Kontakt kam, auf den übertrug sich die Unreinheit.

Die Reinheitsvorschriften gingen auf das Gesetz des Mose zurück. Das Ritual der Handwaschung war zur Zeit des Mose Ausdruck einer tiefen Religiosität – zur Zeit Jesu war es für viele nur noch eine rein äußerliche Geste, die man halt immer schon so gemacht hatte.

Mehr noch: Bei den vielen Vorschriften, an die sich die Menschen laut Auffassung der Pharisäer bis ins Kleinste zu halten hatten, um damit „Gottes Willen“ zu erfüllen, war Gottes Wille praktisch unerfüllbar geworden. Die vielen nötigen Riten und Rituale im Alltag einzuhalten war mittlerweile mehr Last als Glaubenshilfe.

Jesus entlarvt in seiner Antwort die Forderung der Pharisäer als „angebundene Katze“. Er macht deutlich: Gott kommt es nicht auf äußerliche Gesten, sondern auf die innere Haltung – auf das Herz – an.

Das Evangelium lädt mich dazu ein, über die Vielzahl an Traditionen und Riten nachzudenken, die sich in unsere Kirche in zweitausend Jahren Geschichte entwickelt haben: Einfache Gesten wie das Sich-Bekreuzigen, die vielen Traditionen, die wir mit den verschiedenen Festen im Kirchenjahr verbinden, aber auch der ritualisierte Ablauf der Messfeier und letztendlich die ganze römisch-katholische Lehre.

Welche Traditionen unterstützen mich darin, meinen Glauben zu leben? Welche Rituale ermöglichen mir einen inneren Zugang zu Gott?

Welche Haltungen bringen mich der Botschaft Jesu näher?

Und welche „angebundenen Katzen“ möchte ich gerne loslassen?

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen und Ihren Lieben 

Ihre Jenny Kruse, Gemeindereferentin

Evangelium Mk 7, 1–8.14–15.21–23

In jener Zeit versammelten sich die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, bei Jesus.

Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen.
Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Handvoll Wasser die Hände gewaschen haben; so halten sie an der Überlieferung der Alten fest. Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln.
Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also:

„Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen?“
Er antwortete ihnen:

„Der Prophet Jesája hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte, wie geschrieben steht:

Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Vergeblich verehren sie mich; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.“
Dann rief Jesus die Leute wieder zu sich und sagte:

„Hört mir alle zu und begreift, was ich sage!

Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.
Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft.
All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.“